Rückblick von PHILIP
Heute ist Freitag, der 08.05.2020 und morgen früh soll unsere Tochter ankommen. Eine seltsame Mischung aus Nervosität, Vorfreude und Angst macht sich seit heute morgen in mir breit. Den Wecker hatte ich auf 06:00 Uhr gestellt, um nachzusehen und live zu verfolgen, wenn das Flugzeug in Basel abhebt und Richtung Haiti aufbricht. Nach einem kurzen Frühstück haben wir noch ein paar Besorgungen erledigt, u.a. noch ein paar Schuhe für die kalten Tage in Berlin gekauft. Das Wetter soll umschwenken und passende Schuhe soll die Püppi ja schon haben. Auch, wenn wir uns dabei auf die letzten Informationen aus dem Heim verlassen müssen, was die Schuhgröße betrifft.
Dennoch finde ich Zeit, über die vergangenen Wochen nachzudenken. Was uns so alles widerfahren ist, vorgeworfen wurde, wir uns erkämpfen mussten, um heute an diesem Punkt der Vorfreude zu stehen. Daher schreibe ich an dieser Stelle einen kleinen Rückblick. So geht ein bisschen Wartezeit rum.
„Facebook-Aufrufe gefährden alle Pläne!“
Nadine und ich wollten von Anfang an die Öffentlichkeit einbeziehen. Zum einen, um auf unsere verfahrene und hilflose Situation aufmerksam zu machen und irgendjemandem dazu zu bewegen, uns zu helfen und zum anderen, um Spenden zu sammeln für eine teure Lösung, die absehbar wurde. Wann immer wir einen Post auf den sozialen Medien veröffentlich hatten, wurden wir von Seiten eines Adoptionsvereines (NICHT von unserem, Eltern für Kinder e.V.) scharf kritisiert. Als Begründung wurde genannt, dass die Vereine unter einem schlechten Licht stehen könnten. Und das, obwohl wir keinen der beiden Vereine namentlich erwähnt hatten. Ich denke, die Personen in Verantwortung dieses Vereins hatte schlichtweg Angst, dass Eltern innerhalb kürzester Zeit etwas schaffen könnten, wozu sie selbst nicht in der Lage waren. Es wurde sogar mehrfach damit gedroht, jegliche Unterstützung einzustellen und somit die Kinder in Haiti zurückzulassen, sollten wir damit nicht aufhören. Diese Verbreitung von Angst und Panik schlug selbstverständlich auch in der Gruppe der Adoptiveltern hohe Wellen. Einige waren auf unserer Seite und haben ebenfalls die Notwendigkeit gesehen, Aufmerksamkeit zu produzieren und durch die Beiträge einen möglichst großen Kreis von potenziellen Unterstützern anzusprechen. Anderen wurden Screenshots mit Warnungen geschickt, wir würden „die ganze Aktion gefährden“, was dazu führte, dass diese Eltern uns unangemessen lautstark gegenüber standen und uns aufforderten, das zu unterlassen. Nadine hatte ihre Sicht dazu in ihrem Rückblick geschildert.
Letztlich, und das ist das traurige an der ganzen Sache, ist es genauso gekommen, wie wir vorhergesehen hatten, und genau dieses soziale Medium hat uns dabei geholfen, neben zahlreichen persönlichen Kontakten weitere Unterstützer anzusprechen, um diese große Summe Geld zu sammeln. Eine Entschuldigung blieb jedoch aus.
Zu erwähnen sei noch, dass der oben genannte Verein der Panikmache selbstverständlich über die sozialen Medien unseren Erfolg für sich genutzt hat und in diversen Posts sich selbst auf die Schulter geklopft hat, nachdem sie verstanden hatten, welche positive Wirkung unser Auftritt hatte.
Holländer, Italiener – zu viele enttäuschte Eltern!
Nachdem feststand, dass jegliche Versuche gescheitert waren, eine Abholung der Kinder mithilfe der Deutschen oder einer anderen Europäischen Regierung zu realisieren, konzentrierten wir uns auf die Finanzierung des privaten Charterfluges. Aufgrund der unterschiedlichen Verfahrensstände der Adoptionen, änderte sich die Zahl der möglichen Kinder an Bord immer mal wieder. Viele Eltern hofften, dass die Akten ihrer Kinder rechtzeitig fertig werden würden, damit diese die Gelegenheit bekämen, mit unseren zu fliegen. Leider kristallisierte sich jedoch schnell heraus, dass wir wohl über die Anzahl von sieben deutschen Kindern nicht hinauskommen würden. Schnell stand für uns fest, dass wir anderen Eltern in Europa die Gelegenheit geben wollen würden, ihre Kinder nach Hause zu holen. Durch unsere Beiträge in den sozialen Netzwerken wurden zwei Italienische Familien mit jeweils zwei und drei Kindern und eine Holländische Mama mit einem Sohn auf unsere Aktion aufmerksam. Diese wiederum hat Kontakt zu einer weiteren Mutter und einer Familie mit jeweils einem Kind.
Richtig, auf einmal waren es mit unseren 16 Kinder für „nur“ 10 Sitzplätze im Flieger.
Da diese Familien direkten Kontakt zu uns aufbauten und wir mit ihnen somit im engen, persönlichen Kontakt standen, fiel es uns wahnsinnig schwer, darüber entschieden zu müssen, wer letztlich mitfliegen könnte. Auch diesbezüglich wurden uns unnötigerweise wieder Vorwürfe gemacht, wir wollten uns an den Eltern bereichern und (Wortlaut) „Flugtickets verschachern“. Und das, obwohl wir einen erheblichen Eigenanteil pro Kind zu zahlen hätten und wir neben der Fertigstellung der Papiere in Haiti auch wirtschaftliche Aspekte berücksichtigen wollten. Schließlich sind auch wir von den Corona-Lockdowns wirtschaftlich unmittelbar und schwer getroffen. Was wirklich dahinter steckte und wie der Adoptionsverein, der die Organisation der Flüge regelte, mit unseren Zahlungen umgehen wird, wird sich wohl noch zeigen.
To make a long story short – die Zusage fiel schließlich und nach langem Hin und Her auf die Holländischen Familien. Diese standen im Kontakt mit dem Adoptionsverein, der sich um die Erledigung des Papierkrams kümmerte. So konnten wir drei weitere Kinder aus Haiti abholen lassen und die Maschine war mit 10 Kindern plus Flugpersonal restlos gefüllt.